Apotheken
Placebo-Effekte in der Apotheke: So können wir die Heilung verstärken und Nocebo-Effekte verhindern
Apothekerinnen und Apotheker sind zentrale Vertrauenspersonen bei Gesundheitsfragen. Sie informieren ihre Kunden, begleiten Patientinnen durch Therapien und klären über Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten auf. Mit ihren Gesprächen beeinflussen sie in erheblichem Maße die Erwartungen ihrer Kunden gegenüber einer Behandlung. Diesen Einfluss können sie gezielt nutzen, um Placebo-Effekte zu verstärken – und dadurch den Heilungsverlauf zu verbessern.
Für die meisten Menschen sind Apothekerinnen und Apotheker wichtige Vertrauenspersonen. Sie sind häufig die ersten Ansprechpartner bei Erkrankungen, sie informieren über Arzneimittel und ihre Wirkungen und Nebenwirkungen, begleiten Patienten durch eine Therapie und sind dabei oft häufiger mit ihnen in Kontakt als der Arzt oder die Ärztin. Für die Patientenversorgung nehmen Apotheken daher eine höchst bedeutsame Rolle ein: Ihre Arbeit beeinflusst den Heilungsverlauf erheblich – und zwar nicht nur dadurch, was sie ihren Kundinnen und Kunden raten, sondern auch dadurch, wie sie es tun.
„Das Vertrauen der Person in die Behandlung wächst – was den Heilungsverlauf erheblich verbessern kann“
Zahlreiche experimentelle und klinische Studien dokumentieren mittlerweile, wie Informationsgespräche die Erwartungen von Patienten bezüglich der Wirkung einer Medikation beeinflussen. Im günstigen Fall wächst das Vertrauen der Person in die Behandlung, was die Wirkung der jeweiligen Medikation sowie den Heilungsverlauf erheblich verbessern kann. Dem zugrunde liegen Placebo-Effekte: Positive Behandlungserwartungen lösen körperliche Prozesse aus, welche die Wirkung der Behandlung verstärken und Nebenwirkungen abschwächen oder unterdrücken.
Nocebo-Effekte erschweren die Therapie und führen zu einer geringeren Adhärenz
Umgekehrt können negative Behandlungserwartungen jedoch den Heilungsverlauf auch erschweren. Rechnet ein Patient etwa von vornherein fest mit Nebenwirkungen, dann treten sie umso wahrscheinlicher ein. Solche so genannten Nocebo-Effekte sind ebenfalls wissenschaftlich gut untersucht. Sie können durch assoziative Lernprozesse ausgelöst werden, etwa wenn der Patient bereits eigene negative Behandlungserfahrungen gemacht hat. Doch auch ohne Vorerfahrungen rufen negative Erwartungen hinsichtlich der schädigenden Wirkungen einer pharmakologischen Behandlung oder medizinischen Maßnahme oft Nocebo-Effekte hervor.
„Für eine erfolgreiche Therapie extrem wichtig, Nocebo-Effekten mit der richtigen Aufklärung entgegenzuwirken“
In beiden Fällen stoßen die Befürchtungen des Patienten neurobiologische Vorgänge an, welche die Wirkung einer Medikation erschweren und die Entstehung von Nebenwirkungen begünstigen. Darüber hinaus führen Unsicherheit und Ängstlichkeit regelmäßig zu einer geringeren Adhärenz und damit zu schlechteren Heilungsaussichten bei dem Patienten. Deswegen ist es für eine erfolgreiche Therapie extrem wichtig, Nocebo-Effekten mit der richtigen Aufklärung entgegenzuwirken.
Damit das gelingt, sollten Apothekerinnen und Pharmazeutisch-technische Assistenten (PTA) in Gesprächen mit Patienten positive Behandlungserwartungen verstärken und negative dämpfen. Trotzdem müssen sie dabei ihre Aufklärungspflicht beachten. Das wirkt zunächst wie ein Spagat, ist jedoch durch eine gezielte Kommunikation möglich.
"Repressoren" und "Sensitizer" benötigen ganz unterschiedliche Ansprachen
Dafür lohnt es sich, zunächst zwei Patiententypen zu unterscheiden: Den „Repressor“ und den „Sensitizer“. Der Repressor möchte ein bestimmtes Medikament haben und ist dann damit zufrieden. Eine Beratung durch die Apothekerin erwartet er nicht, auch über Nebenwirkungen möchte er nicht sprechen: Ein Angebot zur Aufklärung darüber wird er dankend ablehnen. Ganz im Gegensatz dazu will der Sensitizer alles ganz genau von der Apothekerin erklärt bekommen und nimmt an einem Aufklärungsgespräch interessiert teil. Er hat sich meist bereits intensiv mit seiner Erkrankung beschäftigt und im Internet nach den geeigneten Medikamenten und Behandlungsmöglichkeiten gesucht. Bekommt er in der Apotheke nicht genügend Informationen, verunsichert ihn das.
„Sensitizer sind für Nocebo-Effekte empfänglicher als Repressoren“
Diese beiden Patiententypen kommen im Alltag in unterschiedlicher Ausprägung vor. Auch kann dieselbe Person je nach Situation mehr zur einen oder anderen Seite neigen. Vom Apotheker oder der PTA erfordern sie jedoch unterschiedliche Gesprächsstrategien: So sind Sensitizer grundsätzlich für Nocebo-Effekte empfänglicher als Repressoren. Es ist daher wichtig, durch eine sensible Sprache ihre Behandlungserwartungen zu steuern. Das bedeutet jedoch nicht, Unerwünschtes beiseite zu lassen: Auf Bedenken einer Patientin müssen Apotheker oder PTAs eingehen und mögliche Nebenwirkungen erklären. Auch wenn die Kundin bereits mit einer negativen Einstellung in die Apotheke kommt oder das Medikament gar ablehnt, sollte das thematisiert werden: „Haben Sie schlechte Erfahrungen mit dem Arzneimittel gehabt? Aus welcher Quelle haben Sie erfahren, dass das Medikament nicht wirkt?“
Wer Placebo-Effekte in der Apotheke nutzen will, muss auf die Sprache achten
Wichtig ist im Aufklärungsgespräch, dass die gewünschten Effekte eines Medikaments vor den unerwünschten erläutertet und letztere im Anschluss positiv konnotiert werden. Der Fokus sollte dabei auf der Verträglichkeit liegen, etwa so: „Neun von zehn Patientinnen vertragen dieses Medikament gut. Sollte bei Ihnen trotzdem eine Nebenwirkung eintreten, bedeutet das im Grunde nur, dass das Medikament Wirkung zeigt. Und wundern Sie sich bitte nicht: Bestimmte Nebenwirkungen können bei dem Medikament, das Ihnen verschrieben wurde, früher auftreten als die eigentliche Wirkung. Das ist normal, die Nebenwirkungen werden schnell abklingen und sind kein Grund, das Medikament abzusetzen.“
„Sensitizern bereitet es Sorge, wenn sie etwas nicht verstehen.“
Darüber hinaus gibt es weitere, wirkungsvolle Instrumente, um im täglichen Kundengespräch in der Apotheke Placebo-Effekte zu verstärken und Nocebo-Effekte zu dämpfen. Zum Beispiel sollten Informationen für medizinische Laien möglichst verständlich vermittelt werden – Sensitizern bereitet es Sorge, wenn sie etwas nicht verstehen. Daher ist es auch sinnvoll, Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten von Nebenwirkungen nicht rein numerisch, sondern grafisch, in Bildern oder anhand konkreter Beispiele zu verdeutlichen. Solche positiven Gesprächsstrategien erhöhen die Wahrscheinlichkeit für einen Therapieerfolg bei der Kundin oder dem Kunden, verringern das Risiko und Ausmaß von Nebenwirkungen, erhöhen die Compliance und Adhärenz bei den Betroffenen und sorgen nicht zuletzt für eine größere Kundenzufriedenheit.
Gerade in jüngster Zeit konnten Forschende enorme Fortschritte bei der Analyse der Wirkmechanismen der Placebo- und Noceboantwort verzeichnen, welche es nun erlauben, dieses Wissen im Alltag zu Gunsten der Patienten einzusetzen. Daher sollten Apothekerinnen und Apotheker sowie PTA sich nicht nur in ihrer Funktion als Beratende bei der Ausgabe von Medikamenten und Heilmitteln sehen, sondern durch eine verbesserte kommunikative Kompetenz auch die Rolle von Heilverstärkern annehmen.
Besser kommunizieren in der Apotheke – zum Wohle der Patienten
Das Kompetenznetzwerk Placebo hat sich das Ziel gesetzt, die aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Placebo-Effekten in konkrete Konzepte für die medizinische Forschung und Praxis zu übersetzen. Die Expertinnen und Experten aus dem Netzwerk unterstützen Sie dabei, Ihre Kundinnen und Kunden in der Apotheke optimal zu beraten und zu begleiten.
Wir beraten Sie gerne zu den Themen:
- Optimierung von pharmakologischen Interventionen durch gezielte Erwartungssteuerung
- Minimierung von ungewünschten Nebenwirkungen und Nocebo-Effekten
- Angemessene Patientenaufklärung vor dem Hintergrund unterschiedlicher Patiententypen
- Kommunikationstraining
- Verbesserung von Compliance und Adhärenz
- Erhöhung der Kundenzufriedenheit
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