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Klinische Forschung

Placebo- und Nocebo-Effekte in der klinischen Forschung sinnvoll kontrollieren

Placebo- und Nocebo-Effekte in der klinischen Forschung kontrollieren - Kompetenznetzwerk Placebo

In der klinischen Forschung erschweren Placebo-Effekte ebenso wie Nocebo-Effekte die Messung der spezifischen Wirkung einer Testsubstanz. Deshalb ist es in klinischen Studien wichtig, diese Effekte zu kennen und in der Planung und Umsetzung der Studien optimal zu kontrollieren. Das gelingt über eine harmonisierte Kommunikation – und ein gezieltes Management der Behandlungserwartungen von Probandinnen und Patienten.

Fast überall in der Medizin sind Placebo-Effekte vorteilhaft. Haben Patientinnen und Patienten eine positive Erwartungshaltung gegenüber einer Medikation oder einer Behandlung, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Therapie wirkt und verträglich ist. Deshalb sollten Behandelnde in der ambulanten und stationären Patientenversorgung oder in Apotheken diese Effekte fördern – und gleichzeitig negative Erwartungen und daraus resultierende Nocebo-Effekte reduzieren. In einem Bereich jedoch ist das anders: In klinischen Studien zur Wirksamkeitsprüfung von Substanzen sind Placebo-Effekte ebenso unerwünscht wie Nocebo-Effekte.

Randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudien bilden seit den 1950er-Jahren das Standarddesign bei der Effektivitätstestung von pharmakologischen Substanzen. Durch den Einsatz einer Behandlung mit Placebos sollen unspezifische Störeinflüsse wie zum Beispiel die spontane Remission von Krankheitssymptomen oder statistische Phänomene wie die Regression zur Mitte bei der Wirksamkeitsprüfung einer Testsubstanz kontrolliert und minimiert werden. Die spezifische Wirksamkeit des Präparats, die sog. „Assay-Sensitivität“, ergibt sich dann aus der Differenz zwischen der Wirkung in der Testsubstanz-Gruppe und jener in der Placebo-Gruppe – so die Grundannahme.

Behandlungseffekte setzen sich nicht rein additiv aus dem Verum- und dem Placebo-Effekt zusammen

Neue Forschungsergebnisse dokumentieren jedoch, dass diese Annahme in vielen Fällen zu stark vereinfachend ist. Experimentelle und klinische Befunde zeigen überzeugend, dass sich Behandlungseffekte nicht rein additiv aus dem Verum- und dem Placebo-Effekt zusammensetzen: Der Placebo-Effekt führt bei den Teilnehmenden zu physiologischen Veränderungen, die mit den Effekten der pharmakologische Testsubstanz interagieren und deren Wirkung teils erheblich verstärken können. Ebenso können Nocebo-Effekte die Wirkung von Testsubstanzen signifikant abschwächen.

Behandlungseffekte in klinischen Studien - Kompetenznetzwerk Placebo

Eine Grundannahme im üblichen Design klinischer Studien ist, dass sich die Behandlungseffekte additiv aus den spezifischen Effekten der verabreichten Substanz und dem Placebo-Effekt zusammensetzt. Experimentelle und klinische Befunde dokumentieren jedoch, dass der Placebo-Effekt mit den Testsubstanz-spezifischen Effekten interagiert und so den Behandlungseffekt signifikant beeinflusst (rechts; aus Schedlowski et al., 2015)

In den vergangenen Jahrzehnten wurden daher unterschiedliche, innovative Studiendesigns entwickelt und evaluiert, um Placebo- und Nocebo-Effekte zu kontrollieren und die Assay-Sensitivität in klinischen Studien zu optimieren. Zum Beispiel wurde versucht, schon im Vorfeld Probanden (Phase-I-Studien) oder Patientinnen (Phase II und III) zu identifizieren, die besonders ausgeprägte Placebo-Effekte zeigten, um diese „Placebo-Responder“ dann von der eigentlichen Studie ausschließen zu können. Umgekehrt wurde versucht, diejenigen Personen auszuschließen, die nicht oder kaum auf die Prüfsubstanz reagierten. Diese Ansätze sind jedoch schwierig zu realisieren, verkleinern die Zahl möglicher Testpersonen und sind kostenintensiv. Effektiver ist es, stattdessen Placebo- und Nocebo-Effekte auf allen Ebenen möglichst gezielt zu kontrollieren.

„Behandlungserwartungen werden vor allem durch die Qualität und Quantität der Kommunikation geprägt“

Dies gelingt allerdings nur im Rahmen eines umfassenden Managements der Behandlungserwartungen der Studienteilnehmenden, da sich diese Erwartungen signifikant auf Placebo- und Nocebo-Effekte auswirken. Behandlungserwartungen entstehen bei Probandinnen und Patienten durch individuelle Vorerfahrungen, werden aber vor allem durch Informationen und die Qualität und Quantität der Kommunikation durch Fachpersonen geprägt – im Fall klinischer Studien also meist durch die Studienärztinnen und Ärzte sowie das Studienpersonal.

So ist aus vielen experimentellen und klinischen Ansätzen sehr gut dokumentiert, dass mündliche Informationen oder Aufklärungsbroschüren, die Ärztinnen oder das Studienpersonal an Studienteilnehmende weitergeben, deren Erwartungen erheblich beeinflussen. Das wiederum wirkt sich nachhaltig auf Placebo- und Nocebo-Effekte und deren Wechselwirkung mit der zu testenden Substanz aus: Zum Beispiel melden Testpersonen nachweislich umso stärkere Symptome, je deutlicher sie aufgefordert werden, auf solche Symptome zu achten.

Den Probadenkontakt minimieren, um Placebo-Effekte zu vermeiden? Das kann nicht die Lösung sein

Metaanalysen belegen zudem, dass Placebo- und Nocebo-Effekte in klinischen Studien umso ausgeprägter ausfallen, je intensiver der Kontakt zwischen dem Studienpersonal und den Teilnehmenden ist. Das zeigt, wie wichtig die Kommunikation zwischen Studienpersonal und Probandinnen bzw. Patienten für die Aussagekraft einer Studie ist – aber es weist auch auf ein Dilemma hin: Denn aus ethischen Gründen kann dieser Kontakt nicht beliebig minimiert werden.

Die Lösung für dieses Dilemma liegt darin, die Behandlungserwartungen von Probandinnen und Patienten von vornherein zu erfassen und umfassend in die Planung und den Ablauf von klinischen Studien einzubeziehen. Zu diesem Zweck ist es zunächst wichtig, Prüfärztinnen und Studienpersonal über die neuesten Forschungsbefunde und Erkenntnisse zu den neurobiologischen Wirkmechanismen von Placebo- und Nocebo-Effekten zu informieren – und sie auf diesem Wege dafür zu sensibilisieren, welche Bedeutung die Behandlungserwartungen der Studienteilnehmenden für diese Effekte haben. Im Anschluss kann man die Fachpersonen darin schulen, ihre Kommunikation mit Probanden und Patienten zu harmonisieren und zu optimieren, um Placebo- und Noceboeffekte zu minimieren.

Erwartungsmanagement in klinischen Studien

Erwartungsmanagement in klinischen Studien - Kompetenznetzwerk Placebo

Das Kompetenznetzwerk Placebo hat sich das Ziel gesetzt, die aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Placebo-Effekten in konkrete Konzepte für die klinische Forschung und Praxis zu übersetzen. Die Expertinnen und Experten aus dem Netzwerk unterstützen Sie dabei, die Auswirkungen von Placebo- und Nocebo-Effekten in Ihren Studien zu kontrollieren und zu minimieren.

Wir beraten Sie gerne zu den Themen:

  • Planung und dem Design von klinischen Studien
  • Optimale Kontrolle von Placebo-Effekten im Rahmen klinischer Studien
  • Minimierung von Nocebo-Effekten
  • Konzeption alternativer Studiendesigns
  • Schulung von Prüfärzten und Studienpersonal
  • Entwicklung und Optimierung von Informationsmaterial
  • Analyse früherer erfolgreicher oder erfolgloser Studien

Placebo- und Nocebo-Effekte in der klinischen Forschung sinnvoll kontrollieren - Fotos: Drazen Zigic auf Freepik / PikWizard